Exakte Zahlen lass ich fast ganz raus, das ist für unsere Zwecke unnötiger Wissensballast, denke ich. Zusammenhänge sind wichtiger.
Dies ist jetzt England, wie es war - bei uns wird einiges wohl ganz anders werden. Plausibel sollte es aber sein - s. z.B. die Gilden.
Haupt-Charakteristika der Zeit
- - Enthusiasmus über die technischen Neuerungen der Industrialisierung und Englands wirtschaftliche Vormachtstellung in der Welt, die allerdings mit der Depression 1973 bis 1895 verlorengeht.
- Ausbeutung und weitere Verarmung der unteren Schicht (ca. 2/3 der Bevölkerung) -> Kinderarbeit, Auswanderung.
- Verstädterung und Verarmung der Landbevölkerung.
- weit verbreitetes Sendungsbewusstsein (in der Kolonialisierung und im religiösen Bereich, mehr unten)
- - Tories (konservativ, enge Verbindungen zur anglikanischen Kirche)
- Whigs (liberal, Handwerker)
Eine Arbeiterpartei gibt es noch nicht (allerdings Gewerkschaften), die Arbeiter suchen Bündnisse mit den Liberalen.
Parlamentarisch-demokratische Monarchie, die Krone besitzt allerdings wenig Einfluss.
- - Oberhaus (Adel - wobei gegen Ende des Jahrhunderts auch der Geldadel schon in Einzelfällen Zugang zum Oberhaus erhielt)
- Unterhaus (einfache Bürger, 1874 erstmals auch Arbeiter), gewinnt zunehmend an Macht
- - Adel
- bürgerliche Mittelschicht: erstreckt sich von Großindustriellen bis zu Kleinhändlern. Auch das immer größer werdende Dienstleistungswesen gehört hierher. Die Mittelschicht distanziert sich sowohl vom Adel und seinem ausschweifenden Leben als auch von der ungebildeten (und dann auch noch vielfach katholischen!) Unterschicht.
- Unterschicht
- Blüht und gedeiht: http://de.wikipedia.org/wiki/Britische_Kolonien. Victoria ist Kaiserin von Indien, der wichtigsten Kolonie. Außer Indien erhalten in der viktorianischen Zeit die Kolonien das Recht auf eigene Verwaltung, unterstehen aber weiter der Krone.
- - Großindustrie, Eisenbahn, Kohle. Gefährliche Arbeitsbedingungen auf den Gleisen und in den Gruben.
- Spezialisierte Arbeiter, Techniker und Handwerker leben oft deutlich besser und bilden eine eigene kleine "Oberschicht" in der Arbeiterschaft.
Vielleicht eine unangenehme Botschaft, aber: Der freie Handel verdrängte die Gilden schon um 1800 ziemlich endgültig. Das hat seinen Grund.
Doppelter Zweck des Gildensystems war gewesen:
- 1. Schutz der Mitglieder
2. Monopolstellung durch Wahrung der Gildengeheimnisse.
- 1. Schutz der Mitglieder bieten jetzt die Gewerkschaften, deren Hauptinteresse - unabhängig vom Beruf - die Wahrung akzeptabler Arbeitsbedingungen ist.
2. Monopolstellung wird jetzt von Industriekonzernen angestrebt, und zwar nicht mehr durch Geheimniswahrung, sondern durch geschützte Offenlegung - das Patentsystem - und staatlich unterstützte Kartellbildung.
Presse, Kommunikation
- - Abschaffung der Stempelsteuer -> Zeitungen sind seit 1861 für jeden bezahlbar und haben entsprechenden Einfluss. Zeitungsjungen prägen das Stadtbild. Informationen und Diskussionen über das Tagesgeschehen in allen Gesellschaftsschichten. (Buchliteratur dagegen bleibt für die Ärmeren oft unbezahlbar.)
- Post, Telegraph.
- - Missionierung an allen Ecken. Heilsarmee. Erbauliche Traktate und Weltuntergangsvisionen aller Art stehen hoch im Kurs.
- Die Kirchen rivalisieren mit wissenschaftlichen Erklärungen der Phänomene (besonders Darwins Lehren).
- - Wahlrecht für Arbeiter bzw. Männer ohne dauerhaften festen Wohnsitz
- Frauenwahlrecht, Besitzrecht für Frauen. Frauenrechtlerinnen und -rechtler setzen sich für beides ein und haben auch einige Erfolge zu verzeichnen. Frauen können studieren, allerdings bekommen sie keinen Abschluss - außer seltsamerweise im Medizinstudium. Seit 1882 haben sie das volle Recht auf ihre eigenen Besitz.
- Gesundheitsprobleme, bes. die Wasserversorgung, die erst langsam halbwegs hygienisch wurde - noch Mitte des Jahrhunderts gab es eine verheerende Choleraepidemie.
Eine aufschlussreiche Episode in diesem Zusammenhang:
Der idealistische Arzt Dr. John Snow kartographierte die Orte der Todesfälle - eine bahnbrechende Neuerung in der Epidemologie - und kam so dem Seuchenherd auf die Spur: einen durch Bakterien in Windel-Fäkalien verseuchten Brunnen in Soho. Da seine Kollegen ihn nicht ernst nahm, griff zur Selbsthilfe und brachte die örtlichen Behörden dazu, den Schwengel der Wasserpumpe des Brunnens zu entfernen, worauf die Epidemie schlagartig zurückging. Es war klar, dass er recht gehabt hatte, doch die Vorstellung von Fäkalien, die auch noch in den Mund gerieten, war nicht gesellschaftsfähig, und so schwieg man Dr. Snows Entdeckung tot. Er wurde erst nach seinem Tod rehabilitiert.
(Ich setze das auch mal in erweiterter Form als Anregung in den Figuren-Thread.)
- - Mittelschicht zieht an den Stadtrand -> Pendlerwesen.
- 1861 wurde die erste U-Bahn eröffnet, schneller Ausbau des Bahnnetzes, reger Verkehr.
- Varietés, Pubs, Bars, Cafés.
- teils noch sehr schlechte hygienische Bedingungen, s. voriger Punkt.
- - Das Ideal der ehrbaren Frau war das reine Wesen, das das Haus versah, sich um viele Kinder kümmerte und dem Mann, der zum größten Teil in seiner eigenen Welt lebte, den Rücken frei hielt.
- Männer wollten sich oft zunächst finanzielle Sicherheit schaffen, bevor sie heirateten -> florierendes Prostitutionswesen und, da man über solche Dinge nicht sprach, entsprechend weite Verbreitung von Geschlechtskrankheiten.
- Rugby, Fußball, Cricket, Golf. Auf manche Dinge ist Verlass.
- Gilbert & Sullivans lustige Opern
- Breitgefächert. Ich nenne mal: R.L. Stevenson, Oscar Wilde, Thomas Hardy, Joseph Conrad (das ist der mit Heart of Darkness, der Vorlage zu Apocalypse Now), Lewis Carrol, W.B. Yeats, A. Tennyson, E. Barrett Browning, Matthew Arnold, G.B. Shaw.
- Vielleicht kann man was aus den Präraffaeliten machen, die die zeitgenössischen französischen Impressionisten milde belächelten... gäbe sicher ein schönes Stückchen Hintergrund