Tarot

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Kadosma akwbi
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Tarot

Beitrag Mi 31. Dez 2008, 22:51

Der Junge führte ihn eine schäbige Holztreppe hinauf. Von der Eingangstür drang noch Licht ins Treppenhaus, doch es wurde immer weniger, je höher sie stiegen. Willingham musste höllisch aufpassen, um in der Dunkelheit nicht zu stolpern. Von irgendwoher drang leise Musik an sein Ohr, jemand übte Geige. Er spielte nicht sehr gut, doch die Melodie hatte etwas Beunruhigendes an sich. Es machte ihn nervös.

Auf dem Absatz des 4. Stocks blieb der Junge stehen und deutete auf eine Tür mit einem Milchglaseinsatz, hinter dem ein schwaches, bleiches Licht zu erahnen war. "Hier ist es, Sir. Ich werd dann mal wieder gehen." Er streckte eine magere kleine Hand aus, und Willingham legte ein paar Pennies hinein. Die Stufen knarrten unter den flinken Schritten des Jungen, dann war Willingham allein.

Einen Augenblick zögerte er und überlegte, ob er besser wieder gehen sollte. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl bei der Sache, und er bildete sich ein, bisher gut beraten gewesen zu sein, auf dieses Gefühl zu hören. Doch es widerstrebte ihm, unverrichteter Dinge umzukehren, nachdem er nun schon den Weg in dieses gottverlassene Viertel auf sich genommen hatte.

Er nahm die Tür in Augenschein, so gut es im Halbdunkel möglich war. Kein Türring, keine Klingel. Durch das matte Glas war nichts zu erkennen. Er klopfte an die Scheibe, doch niemand antwortete. Nach einigem Zögern klopfte er noch einmal, diesmal etwas fester. Die Tür gab nach und schwang einen Spalt breit auf. Willingham zuckte leicht zusammen, doch er nahm sich zusammen und spähte hindurch. Er konnte einen schmalen Korridor ausmachen, ausgetretene Holzdielen, auf die von irgendwo weiter hinten in der Wohnung blasses Licht fiel. "Ist jemand da?" rief er durch den Spalt. Er erhielt keine Antwort. Er lauschte, doch es blieb still. Willingham klopfte noch einmal. "Hallo, ist jemand hier?" Als wieder niemand antwortete, schob er die Tür weiter auf und trat hindurch.

Der kleine Gang war kahl, zwei geschlossene Türen auf der Innenseite und zur Straßenseite hin eine weitere Tür, die halb offenstand. waren sein ganzes Inventar. Gedämpfter Straßenlärm drang an sein Ohr, dazwischen hin und wieder vom Treppenhaus her ein Fetzen von der seltsamen Geigenmelodie. Vorsichtshalber nahm Willingham seinen Hut ab, dann schob er die Tür auf und trat ein.

Er stand in einer kleinen Küche. Durch zwei hohe Fenster schien graues Tageslicht herein. Eine Anrichte, ein Spülbecken, ein Herd, über dem einige zerbeulte Töpfe und Pfannen an Haken hingen. Die Mitte des Raums nahm ein abgenutzter Tisch ein, an dem zwei Stühle standen. Der eine war leer, auf dem anderen, ihm gegenüber, saß eine schmale Gestalt, die nun den Kopf hob und sich ihm zuwandte.

"Ah, ein Besucher."

Eine helle Frauenstimme, weder freundlich noch unfreundlich, einfach sachlich. Es lag überhaupt keine Überraschung darin. Das irritierte Willingham, ebenso wie ihr Gesicht, das er nicht recht erkennen konnte. Da sie mit dem Rücken zum Fenster saß, war es halb ins Dunkel getaucht. Im ersten Augenblick hatte er sie für ganz jung gehalten, nun schien sie ihm eher 35, vielleicht 40 zu sein. Doch sobald er den Blick durchs Zimmer schweifen ließ und sie nur noch aus dem Augenwinkel ansah, wirkte sie wie eine Greisin.

Sie ließ ihm keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.

"Was willst du hier?" Eine einfache Frage, derselbe sachliche Tonfall. Sie wartete, doch Willingham wusste keine einfache Antwort, also schwieg er.

"Nun ja, gleichgültig. Du hast hergefunden, also wirst du schon einen Grund haben. Setz dich."

Willingham gehorchte und ließ sich unbeholfen auf dem wackligen Küchenstuhl nieder. Er spürte mehr als dass er sah, wie sie ihn kurz musterte, dann griff sie zu einem Stapel Karten, der auf dem Tisch lag. Sie mischte ihn ruhig durch, ohne Willingham aus den Augen zu lassen, und zog dann nacheinander zwei Karten, die sie verdeckt auf den Tisch legte und beiseiteschob. "Da du danach nicht fragst, nehme ich an, du weißt selbst gut genug, wo du herkommst und wer du bist," sagte sie. "Es wird die dritte Karte sein, wegen der du hier bist." Sie zog eine weitere Karte, betrachtete sie kurz, blickte Willingham an und legte die Karte dann offen vor sich auf den Tisch.

"Die Neun der Schwerter." Es war eine reine Feststellung, keine Gefühlsregung war ihrer Stimme zu entnehmen.

Willingham beugte sich vor, um die Karte zu betrachten. Sie zeigte einen jungen Mann, der wach in seinem Bett saß, das Gesicht in den Händen vergraben. Über ihm schwebten neun Schwerter in der Dunkelheit - oder waren sie an der Wand angebracht? Es war schwer zu sagen.

"Was..." Sie schüttelte den Kopf, und er erriet ein leises Lächeln. "Oh nein, das kann ich dir nicht sagen. Ich zeige dir nur die Bilder. Was sie bedeuten, musst du selbst herausfinden."

Willingham war ratlos. "Dürfte ich eine Zeichnung von der Karte machen?" Sie nickte ihm zu. Willingham nahm sein Notizbuch hervor und zeichnete das Bild möglichst getreu ab. Die neun horizontal schwebenden Schwerter, darunter die gebeugte, sitzende Gestalt in ihrem weißen Nachthemd, die karierte Bettdecke, die Kampfszene, die in den Bettkasten geschnitzt war. Die Frau sah ihm aufmerksam zu. Als er fertig war, nickte sie noch einmal. "Das wird genügen," sagte sie. "Du solltest ihn finden. Er wird dir weiterhelfen."

Es war nicht nötig, dass sie mehr sagte. Willingham wusste, dass das Gespräch beendet war. Er verbeugte sich leicht, murmelte einen verlegenen Gruß, während er seinen Hut wieder aufsetzte, und verließ die Wohnung mit schnellen Schritten.
Abenteuer. Hah. Große Erlebnisse. Pah. Nach solchen Dingen verlangt es einen Hobbit nicht.

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Kadosma akwbi
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Re: Tarot

Beitrag Mi 31. Dez 2008, 23:09

Das hier wäre ein Vorschlag, wie man Tarotkarten ins Spiel bringen könnte.

Ich dachte mir die Kartenlegerin als Verkörperung des Schicksals, das den Spielern Hinweise gibt. Sie ist hier eine ärmliche Frau, aber könnte auch genauso in anderer Gestalt und an anderer Stelle auftauchen, immer wieder anders. Wiederzuerkennen wäre sie an der seltsamen Melodie (Hereinspielen des Paranormalen) und den drei Altersstufen (Nornen, Parzen und so).

In diesem Fall gäbe sie einen Hinweis auf einen NPC, die man finden muss, einen deprimierten Soldaten vielleicht, oder eine andere verzweifelte Person. Man würde diese an irgendetwas wiedererkennen, was an das Bild auf der Tarotkarte erinnert. In anderen Fällen könnten die Karten auf Dinge, Gegenden, Ereignisse, Gefahren oder was auch immer hinweisen.

Was meint ihr?
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Wulf

Re: Tarot

Beitrag Do 1. Jan 2009, 20:43

There is no spoon? 8-) ;)

Gefällt mir sehr sehr gut, ein schöner Charakter!
Und immer nützlich als Backup wenn sich Helden in einem Abenteuer mal echt festgefahren haben.
Harleking & Dramaqueen.

Toxyna

Re: Tarot

Beitrag Fr 2. Jan 2009, 09:49

Sehr nette Idee und auch schön geschrieben.

Kodema

Re: Tarot

Beitrag Mo 5. Jan 2009, 09:16

gefällt mir von Geschichte und Idee her sehr gut........einzig dachte ich, daß Hank die Manifestation des Schicksals ist.....aber warum nicht beide :)

Hank der eher unbeteiligt ist und bei einem Plausch im Pub evtl etwas fallen läßt und die Norne (oder wie auch immer) die man aufsuchen muss um einen verzwickten Hinweis zu bekommen....(je nach Laune und Situation der Gruppe/des Leiters)

Die Karten wären in deiner Idee an die echten angelehnt oder frei, je nach Situation vom Spielleiter erfunden?
Ich frag deshalb, weil ich zum Beispiel keine Ahnung von Tarot habe und somit, falls ich mal Spielleiter wäre, wohl eher weniger auf diese Möglichkeit zurückgreifen würde. Wenn ich sie mir selbst ausdenken kann...dann schon.
Außer natürlich man legt ein Päckchen Tarotkarten bei :)
I´d rather be on Islay!

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Kadosma akwbi
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Re: Tarot

Beitrag Mo 5. Jan 2009, 13:58

Ups, ich dachte, Hank sei einfach nur Hank? :) Aber auch wenn nicht, das müsste sich wirklich nicht beißen, es gäbe dem Spielleiter einfach ne Möglichkeit mehr an die Hand, Tips zu geben.

Karten frei erfinden würde ich nicht. Bei den Tarotkarten ist so ziemlich alles an Archetypen und Situationen dabei, was man sich vorstellen kann. Das ist ja das Tolle, darum kann man damit so schön rumpsychologisieren. Ich glaube nicht an Wahrsagerei, aber hab mehrere Decks, weil ich die Karten faszinierend und als Seelen-Bilder enorm anregend finde. Und genausogut kann man sie eben für alle möglichen Situationen als Hinweise verbraten. Besser würden wir es wohl eh nicht hinkriegen.

Außerdem kennen das Tarot einfach viele und es bringt eine bestimmte Atmosphäre mit sich.

Auch ein Spielleiter, der sich mit Tarot gar nicht auskennt, kann sich einfach ein Bild aussuchen, das für die Situation passt. Es muss ja gar nichts Esoterisches sein, etwas Phantasie genügt vollkommen :)

Wir könnten in den Regeln irgendwo einen Link mitgeben wie

http://en.wikipedia.org/wiki/Rider-Waite-Smith_deck

(dieses Deck, das für mich das schönste und anschaulichste ist, gibt es seit 1910, passt also etwa)

oder wir könnten die Abbildungen in den Anhang stellen, evtl. ganz kurz und stichwortartig die üblichsten Deutungen dazu, so dass der Spielleiter das "Schicksal" auch ein bisschen wahrsagen lassen kann, wenn er das will. Die Bilder auf dem Link oben sind in der Public Domain. Die könnte man sich dann ausdrucken und ausschneiden - wäre ja nett, wenn der Spielleiter den Spielern die Karte(n) in die Hand drücken könnte.

Hier die Karte aus der Geschichte oben:
Bild
Abenteuer. Hah. Große Erlebnisse. Pah. Nach solchen Dingen verlangt es einen Hobbit nicht.

Kodema

Re: Tarot

Beitrag Mo 5. Jan 2009, 14:13

Jetzt wo ich sie mal gesehen hätte die lustigen Karten.......kann ich mir das auch ein wenig besser vorstellen ;)

Ja ich hätte selbst schauen können, aber dafür hat mir heute Vormittag die Zeit gefehlt :)

Link oder Abdrucke der Karten im Heft halte ich für eine Gute Idee (oder irgendwie in dieser Form)

Achja: Ich nehm die 0 ;)
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Toxyna

Re: Tarot

Beitrag Mo 5. Jan 2009, 15:10

Dazu können die Karten beim Kartenlegen auch auf dem Kopf stehen, was ihre Bedeutung verändert.

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Kadosma akwbi
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Re: Tarot

Beitrag Mo 5. Jan 2009, 15:22

Stimmt, damit hat man gleich nochmal die doppelte Menge an möglichen Bedeutungen.

Also, ich könnte eine Übersicht der Karten im PDF-Format mit einer ganz kurzen Charakterisierung übernehmen, wenn ich wieder zu Haus bin.

Kann ich nicht die 0 haben? Das Chaos ist doch eher die 16 ;)
Abenteuer. Hah. Große Erlebnisse. Pah. Nach solchen Dingen verlangt es einen Hobbit nicht.

Kodema

Re: Tarot

Beitrag Mo 5. Jan 2009, 16:12

was du für ein Bild von mir haben musst.......;)
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